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Test: F355 Challenge

Daten:
System: Dreamcast
Entwickler: Sega AM2
Vertrieb: Sega
Version: Japan
Release: 03.08.00 (Japan)
Test in GAMEFRONT 32 (08/00)


Sega wendet sich von Daytona, Scud Race und anderen Arcade-Racern ab und röhrt mit einer knallharten Ferrari-Simulation über die Piste.


Mit F355 Challenge wandert ein weiterer Naomi-Automat auf den Dreamcast. Das von Yu Suzuki entwickelte Rennspiel rund um das rassige Ferrari Modell F355 bewegt sich allerdings mehr am Rande einer Simulation, was für eine Arcade-Umsetzung untypisch ist.

Am Steuer des italienischen Boliden tritt man gegen sieben Computerfahrer in Einzelrennen oder Meisterschaften an. Via Splitscreen kämpfen zwei Spieler gegeneinander
F355 Challenge Screenshot Bild
und per Linkkabel sogar auf 2 Monitoren. Vor jedem Rennen lässt sich der Schwierigkeitsgrad festlegen. Anfänger freuen sich über zuschaltbare Fahrhilfen, Profis aktivieren in den Options den knallharten Simulations-Modus.

F355 Challenge besitzt nur eine Perspektive, nämlich eine Cockpitansicht. Mit der analogen R-Taste gibt man Gas, während die L-Taste für das Bremsen zuständig ist. Hat man keine Automatikschaltung, so legt man die Gänge mit den A und X Buttons fest.

Das Bildschirmlayout ist funktionell und aufgeräumt. Neben den Standard-Anzeigen wie Geschwindigkeit, Drehzahl, Runde, Gang und Fahrzeit, behält man sein Verfolgerfeld per Rückspiegel im Auge. Ein Radar zeigt per Draufsicht die nähere Umgebung des eigenen Wagens und erfasst auch tote Winkel: Selbst wenn ein Verfolger an einen vorbeiziehen will oder auf gleicher Höhe fährt, entgeht einem das nicht.

Die Strecken kommen Motorsport-Fans bekannt vor: Ob der von langen Geraden geprägte Motegi-Kurs oder der kurvenreiche Suzuka Parcour, jeder asphaltierte Kurs stellt aufgrund seines Layouts andere Anforderungen an den Fahrer. Bonusstrecken schalten sich bei erfolgreichen Platzierungen frei, u.a. der Nürburgring.

Die Grafik präsentiert sich mit konstanten 60 fps und einem Magic Weather System: Per Zufallsgenerator scheint während des Rennens die Sonne, leuchtet die Abenddämmerung oder ziehen etwas triste Wolken durch das Bild.





Ehrlich gesagt war ich noch nie ein großer Fan des Automaten. Das lag hauptsächlich daran, dass die Kiste ein echtes Münzgrab war. Die "Learning Curve" war einfach zu hoch und mein Kontostand zu klein, als dass ich mich mit Yu Suzukis Ferrari-Racer ernsthaft befassen konnte. Umso mehr freue ich mich, das Teil nun endlich auf dem Dreamcast (ohne Münzeinwurf) ausführlich unter die Lupe nehmen zu können.

Technisch hat die AM2-Truppe wie üblich erstklassige Arbeit abgeliefert: Schicke 60 Frames und die detailreiche Grafik verhelfen F355 zum bis dato bestaussehendsten Dreamcast-Racer.

Besonders die Fernsicht ist enorm, denn der Blick reicht nicht selten bis zum Horizont. Die seltsame Heavy Metal-/Rock-Musik haut mich nicht vom Hocker, dafür aber die Soundeffekte. Der Motor
F355 Challenge Screenshot Bild
heult und röhrt so dermaßen realistisch, dass ich glaube jeden Moment kracht ein Ferrari durch die Wand in mein Wohnzimmer. Dank Linkkabel steht auch spannenden Zwei-Spieler-Duellen nichts im Weg.

Die extravagante Fahrphysik des Italo-Geschosses ist der größte Pluspunkt des Gameplays. Speziell mit einem Lenkrad lässt sich unglaublich viel aus der Dynamik und dem Fahrverhalten des Traumwagens herausholen. Bei den Fahrhilfen ist das IBS-System dringend abzuschalten. Es bremst den Wagen vor jeder Kurven so stark runter, dass man niemals an die Spitze des Feldes kommt. Lobenswert ist neben dem Rückspiegel der kleine Radar, mit dem sich alle in der Nähe befindlichen Konkurrenten bestens überwachen lassen.

Warum aber nur das F355-Fahrzeugmodell seine Dienste anbietet, ist mir schleierhaft. Es gibt nichts an der exzellenten Umsetzung der Fahrphysik zu rütteln und nichts daran, dass der Automat auch nicht mehr zu bieten hat. Aber ist das nicht genau einer der Schwachpunkte von Sega? Dass es wieder mal "nur" eine Arcade-Umsetzung ist?

Ich denke, dass mir niemand widersprechen wird, wenn ich behaupte, dass F355 Challenge mit einer Handvoll mehr Ferrari im Angebot noch mehr Spaß machen würde, oder? Oder mehr Renn-Wettbewerbe. Dasselbe gilt für die Perspektiven: Nur eine? Ja, beim Automaten ist das auch so, aber was wäre falsch daran, dem Spieler optional ein paar zusätzliche Perspektiven anzubieten? Ich stelle mir die Frage was passieren würde, wenn Colin McRae Rally 2 es gewagt hätte, nur mit einer Fahreransicht daherzukommen...

Karambolagen bleiben ohne Folge und wirken sich nicht auf das Fahrverhalten aus. Dabei wäre es auch reizvoll gewesen, sich mit den Fahreigenschaften eines verbeulten Ferrari auseinanderzusetzen.

Für Fortgeschrittene und Experten ist F355 Challenge ein auf lange Sicht motivierendes Rennspiel. Zwar stellt sich kein Geschwindigkeitsrausch ein wie in anderen Racern, doch sorgen die ausgeklügelte Fahrphysik und das reizvolle Strecken-Design für extrem hohe Langzeitmotivation. Anfänger bleibt diese Spieltiefe jedoch verwehrt und sie erfreuen sich wohl hauptsächlich an der eleganten Grafik statt dem anspruchsvollen Gameplay.





F355 Challenge ist für Sega ungewohntes Terrain: Statt kurzweiliger Arcade-Unterhaltung bietet die edle Raserei dank Simulations-Anspruch Dauermotivation. Bereits das Warten auf das Startsignal weckt Emotionen: Das sanfte Drücken des "Gaspedals" lässt den 380 PS starken Motor mit italienischer Inbrunst brüllen, und die Soundeffekte vermitteln die Potenz der heissblütigen Maschine in Perfektion. Allzu wilde Temperamentsausbrüche des Fahrers werden von den Fahrhilfen jedoch unterbunden. Einzig wer Traktionskontrolle, ABS & Co. ausschaltet, darf sich dem bissigen Fahrverhalten stellen.

Hier steht dann echte Arbeit auf der Tagesordnung. Statt wie in Sega Rally 2 bereits nach kurzer Zeit unter den Erstplazierten zu landen, gibt es bei F355 Challenge zunächst lange Gesichter: Wer mit Tempo 200 durch eine Kurve rast braucht sich nicht wundern, wenn er in einem Reifenstapel landet.

Nur mit sehr viel Fahrpaxis und Geduld erobert man die Spitze des Verfolgerfeldes und sichert sich einen Platz auf dem Siegertreppchen. Wie in keinem anderen Spiel ist der Lernprozess so vom Handling des eigenen Wagens geprägt wie in F355 Challenge. Mehr konzentriert statt entspannt lernt man Meter für Meter der anspruchsvollen Strecken kennen.

Ein Großteil der zaghaften Verfolger ist dagegen nicht der Rede wert.
F355 Challenge Screenshot Bild
Lediglich die auf den vordersten Plätzen liegenden Wagen donnern eiskalt voran und bestrafen jeden Fahrfehler mit wachsendem Vorsprung. Mit dem Analogpad ist die Steuerung des Ferrari etwas zappelig - nur mit dem Lenkrad lässt sich sein rassiges, fast zickiges, Temperament bestens kontrollieren.

Die Grafik steht der attraktiven Karosserie des PS-Monsters in nichts nach. Auch wenn die Strecken keine Phantasie-Bauten wie in Daytona besitzen, machen sie Appetit auf mehr. Besonders der Long Beach Kurs deutet mit seinen gewaltigen Hochhäusern an, wozu der Dreamcast technisch in der Lage ist.

Ein Geschwindigkeitsgefühl stellt sich trotz Tempo 250 kaum ein. Wandert die Tachonadel jenseits der 180 km/h Marke, bewegt sich die Grafik anscheinend auch nicht schneller als sonst. Mehr Perspektiven hätten nicht geschadet, auch wenn es sich aus der Cockpit-Ansicht sehr gut fahren lässt. Funktionell zeigt sich das Bildschirm-Layout: Radar, Rückspiegel und Streckenkarte vermitteln alle wichtigen Informationen.

Ein Schadensmodell wäre das Tüpfelchen auf dem "I" gewesen, doch es existiert leider nicht: Das Fahrverhalten bleibt auch nach mehreren Kollisionen stets gleich. Schade, dass es nur das 355er Modell auf die GD-Rom geschafft hat: Von Ferrari 328 GTS, 360 Modena oder 550 Maranello ist weit und breit nichts zu sehen.

F355 Challenge ist für simulationsfreudige Rennspiel-Profis das Paradies auf Erden. Das Beherrschen der ausgefeilten Fahrphysik stellt eine enorme Herausforderung dar. Zusammen mit dem guten Streckendesign, der phänomenalen Grafik und den kernigen Soundeffekten stellt sich eine ähnliche Faszination ein, wie sie die italienischen Nobel-Karossen in der Realität ausstrahlen. Trotz zuschaltbaren Fahrhilfen bleiben Neueinsteiger und Gelegenheitsspieler überfordert auf dem Standstreifen stehen.
Im wirklichen Leben können sich nur finanzstarke Personen einen Ferrari in die Garage stellen. Ähnlich siebt Sega seine Klientel aus: Nur geduldigen Experten offenbart sich die unglaubliche Spieltiefe, die in F355 Challenge schlummert.



Spielspaß-Wertung




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